Analysenspektrum Molekulargenetik

Angioödem, hereditäres (SERPING1, F12)

OMIM: 606860, 610619
Diagnostik:

Sequenzierung und CNV, SERPING1, Sequenzierung Exon 9, F12

Material:

2 ml EDTA-Blut

Analysezeit: 4 Wochen
Formulare:  

Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit Neigung zur Ausbildung von rezidivierenden, großflächigen Angioödemen (Schwellungen der Haut oder der Schleimhäute), die sich am häufigsten in der zweiten, nicht ganz selten auch bereits in der ersten Lebensdekade manifestieren.

Klinisch imponieren farblose bis weiße oder leicht gerötete und nicht juckende Ödeme der Gliedmaßen, des Gesichts (meist an Lippen, Augenlidern, Zunge und Rachen), des Stammes und selten der Luftwege ohne Urtikaria, außerdem krampfartige, wiederkehrende Schmerzen des Abdomens mit Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoen (rezidivierende gastrointestinale Koliken). Den Schwellungen gehen häufig Müdigkeit, Frösteln, Kältegefühl, Geräuschempfindlichkeit und allgemeines Unbehagen, z.T begleitet von Fieber und Gliederschmerzen voraus. Weitere Frühsymptome können ein Spannungsgefühl und Prickeln der Bezirke etwa eine Stunde vor der sichtbaren Schwellung sein. Oft treten die Ödeme aber ohne Vorwarnung auf und bestehen gewöhnlich nicht länger als 3-5 Tage.

Die Dauer der Schwellungen ist auch beim selben Patienten völlig unterschiedlich, ebenso das Ausmaß und die Lokalisation der Schwellungen. Die Frequenz der „Ödemattacken“ ist bei den Patienten ebenfalls sehr unterschiedlich und kann von einmal wöchentlich bis einmal pro Jahr reichen. Schleimhautödeme im Respirationstrakt treten bei etwa 60-70% der Patienten auf und können zur schwersten Notfallsituation des HAE führen, dem Larynxödem-bedingten Ersticken.

Ursache für die in regelmäßigen Abständen auftretenden und im Durchschnitt etwa ein bis drei Tage andauernden Angioödeme ist ein Mangel an dem C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH). C1-INH ist ein zu den Serpinen gehörender Serin-Protease-Inhibitor, der die spontane Autoaktivierung der ersten Komplement-Komponente (C1) ebenso wie aktiviertes C1 kontrolliert. Bei einem Mangel an C1-INH kommt es zu einer inadäquat starken Aktivierung des Komplementsystems, die u.a. zu einer permanenten Verminderung von C2 und C4 im Plasma und zu einer Erhöhung des Bradykinin-Spiegels führt. Die erhöhten Bradykinin-Spiegel steigern die Gefäßpermeabilität und führen damit zur Ausbildung von Ödemen (Bradykinin-vermittelte Angiödeme). Zu den Faktoren, die eine Ödembildung auslösen, gehören in erster Linie Traumen wie Injektionen, Operationen, Zahnoperationen, Tonsillektomien, Verletzungen und Minimaltraumen. Angst, psychische Streßsituationen und lokale Infektionen, aber auch stärkere und längere mechanische Belastung der Extremitäten, Menstruation oder auch die Einnahme hormonaler Kontrazeptiva können ebenfalls zu Schwellungen der Haut oder Schleimhäute führen. In etwa einem Drittel der Fälle lassen sich jedoch keine auslösenden Faktoren nachweisen.

Das hereditäre Angioödem (HAE) tritt in drei Formen auf. Bei etwa 85 Prozent der Patienten handelt es sich um einen Synthesedefekt, sowohl Konzentration als auch Aktivität des C1-INH sind vermindert. Die zweite Form (15 Prozent der Patienten) beruht auf einer funktionellen Insuffizienz des C1-INH, der aber in normaler oder sogar erhöhter Menge vorliegt. Das Krankheitsbild des HAE Typ 1+2 wird durch Mutationen im SERPING1-Gen verursacht, welches auf Chromosom 11q12.1 kartiert. In etwa 20% der Fälle liegen Neumutationen vor. In seltenen Fällen liegen auch Mutationen im F12-Gen vor (HAE Typ 3), das auf Chromosom 5q35.3 kartiert. Die bislang beschriebenen Mutationen sind alle im Exon 9 des F12-Gen lokalisiert.

Indikation:

  • Patienten mit V.a. C1-INH-Mangel
  • Patienten mit erniedrigter C1-INH-Konzentration
  • Patienten mit funktioneller Insuffizienz des C1-INH
  • Vorkommen eines C1-INH-Mangels in der Familie
  • Patienten mit unklaren wiederkehrenden Ödemen der Haut oder der Schleimhäute

Differentialdiagnostisch müssen allergische Reaktionen ausgeschlossen werden, da medikamentöse Therapien gegen Allergiebeschwerden (z.B. Antihistaminika, Corticoide) beim HAE wirkungslos bleiben. Eine frühzeitige diagnostische Absicherung empfiehlt sich zur Prävention und zur Therapie von betroffenen Genträgern. Nach der Diagnosestellung müssen die Patienten lebenslang eine Prophylaxe erhalten. Eine Akuttherapie gegen Schwellungsattacken (z.B. der Bradykininrezeptorantagonist Icatibant oder ein rekombinantes C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat) bzw. eine Kurz- oder Langzeitprophylaxe (z. B. vor einer Zahnbehandlung, Operation bzw. bei häufig auftretenden schweren Schwellungsattacken) sind möglich. Betroffene Patienten sollten mit einem Notfallausweis ausgestattet werden.

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